forensik:

zur forensischen psychiatrie

Allgemeine Vorbemerkung:

Die politische Perspektive einer tendenziellen historischen Überwindung der psychiatrischen Herrschaftsinstitution kann sich nicht darauf reduzieren, einen Doppelcharakter der psychiatrischen Institution im Sinne von Repression und Hilfeleistung (Pseudo-Hilfeleistung) mit dem Ziele gutzuheißen, die scheinbar hilfeleistenden Bereiche durch Reformen im Rahmen der psychiatrischen Herrschaftsinstitution gegenüber ihrem repressiven Grundcharakter auszubauen. In ihrer fremdbestimmten Abstraktheit gegenüber den Konflikten des gesellschaftlichen Lebens neigen Herrschaftsinstitutionen zu immer weitgehenderen Ausdifferenzierungen auf der Basis einer mechanistischverkürzten Logik. Einst im Sinne eines Differenzierungsprodukts der Knaste während der Französischen Revolution als Psychiatrie hervorgegangen, untergliedert sich heute die psychiatrische Herrschaftsinstitution samt ihrer gemeindepsychiatrischen Fortsätze in ein wucherndes Geflecht von gesellschaftlichen Einfluß- und Kontrollbereichen. Der Teilbereich der Forensischen Psychiatrie stellt, wenngleich in jedem Bundesland nur eine dieser Einrichtungen innerhalb der Psychiatrien vorgesehen ist, ein Kernstück der Psychiatrien hinsichtlich ihrer juristisch-vollzugstechnischen Absicherung dar.

I. Zum rechtlichen Ausgangspunkt des Maßregelvollzugs

Sieht im Falle eines Strafdelikts das Gericht auf der Grundlage eines dafür erstellten psychiatrisch-medizinischen Gutachtens Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) bzw. beschränkte Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) vor, so ist im zweiten Schritt die mögliche Gefährlichkeit des schuldunfähigen Täters für die Öffentlichkeit auf ebenfalls gutachterlicher Grundlage justizmäßig zu beurteilen, um es zur Absegnung des Urteils mit dem § 63 des Maßregelvollzugs kommen zu lassen. (§ 64 ist für Strafdelikte bei Alkoholoder Drogenabhängigkeit vorgesehen!)

Ist die Anwendung des § 64 von vorneherein zeitlich auf zwei Jahre beschränkt, so kann die Verurteilung nach § 63 ein unausgesprochenes "lebenslänglich", zumindest aber eine hohe zeitliche Verweildauer beinhalten, wenngleich eine jährliche Überprüfung durch die Strafvollstreckungskammern auf der Grundlage einer psychiatrischen Stellungnahme rechtlich vorgesehen ist.

Zunächst wird die auf der Grundlage von Schuldunfähigkeit vorgesehene rechtliche Strafaussetzung oder Strafmilderung durch die Hintertüre des Vollzugs der Maßregel mit den Vollzugskriterien von Sicherung und Besserung wieder eingerührt. Nicht nur kommt es zum modifizierten Strafvollzug der Maßregel, sondern auch die rechtliche Stellung des strafrechtlich Untergebrachten hat sich dabei durch ein hergestelltes formal-diagnostisches Krankheitsbild (psychiatrisches Gutachten) soweit verschlechtert, daß unterstellte Krankheitsuneinsichtigkeit gepaart mit unterstellter potentieller Gefährlichkeit einen Rahmen abgeben, vom Selbstbestimmungswillen des Untergebrachten durch die pharmakologischen Vergewaltigungen einer mechanistisch-reduzierten psychiatrischen Pseudo-Medizin abzusehen. Für eine Vielzahl der vom Maßregelvollzug Betroffenen wäre deshalb eine auf der Grundlage von beschränkter Schuldfähigkeit erfolgte Strafmilderung bei der strafrechtlichen Verurteilung der gangbarere und vorteilhaftere Weg für ihr persönliches Schicksal gewesen.

Entgegen einem affirmierenden Reformgeist ließen pragmatische Forderungen mit libera-lisierendem Charakter zur Abwendung der gröbsten psychiatrischen Mißstände sich erheben.

Zur Delegation an die Bonner Grünen:

  1. a) Rechtliche Verankerung einer zeitlichen Begrenzung bei der Anwendung des § 63 StGB.
    b) Erarbeitung differenzierter Rechtskriterien hinsichtlich einer Aussetzung des Maßregelvollzugs (§63 und § 64 StGB), die sich von den formal-diagnostischen psychiatrischen Stellungnahmen einer Pseudo-Medizin weitgehend unabhängig machen (siehe § 67d StGB).
    c) Wahrung der strafrechtlichen Verhält-nismäßigkeit beim Widerruf der ausgesetzten Maßregel. Z.B. sollte Schwarzfahren, einfacher Diebstahl und ähnliches rechtlich nicht herangezogen werden, die ausgesetzte Maßregel zu widerrufen, um somit letztlich den Maßregelparagraphen § 63 zu einem ewigen Bumerang werden zu lassen (siehe § 67g StGB).
  2. a) Forderung einer Heranziehung anderer fachlicher Gutachtergruppen für die rechtliche Begutachtung (Schuldfähigkeit, Gefährlichkeit), um das psychiatrische Monopol mechanistisch-reduzierter formal-diagnostischer Begutachtungen zu sprengen.
    b) Durchsetzung und Verankerung des Betroffenenrechts einer freien Wahl des strafrechtlichen Gutachters.
  3. Einführung eines Mitspracherechts von Betroffenen vor Gericht bei juristischbegutachteter Schuldunfähigkeit bzw. beschränkter Schuldfähigkeit zwischen der Alternative von strafmilderndem Strafvollzug und Maßregelvollzug frei zu wählen.

II. Zu den Vollzugsbedingungen im Maßregelvollzug

Abgesehen von dem bundesweit-geregelten rechtlichen Rahmen des Maßregelvollzugs unterstehen die Vollzugsbedingungen mit der rechtlichen Vorgabe der Kriterien von Sicherung und Besserung der jeweiligen forensischen Einrichtung.

Konzeptionell werden etwa in der Forensischen Psychiatrie der KBoN nach äußerlich-phänomenologischer Logik Betroffenengruppen ähnlich der Gesamtpsychiatrie nach Alkohol- bzw. Drogenabhängigen, Psychoti-kern etc. gebildet, die als besondere Teilbereiche um einen Stufenplan des Vollzugs gegliedert sind. Das Stufenkonzept des Vollzugs gliedert sich selbst von der Aufnahmestation, einigen willkürlichen Zwischenstufen bis hin zum ambulanten Vollzugsbereich. Kaum dürften institutionell-organisatorische Gründe den Ausschlag für das Stufenkonzept des Maßregelvollzugs gebildet haben. In der Praxis jedenfalls erweist sich ein Stufenkonzept der Vollzugslockerungen als zwangspädagogisches Instrument erpresserischen Drucks auf Betroffene bis zur psychischen Zerstörung hin auszuüben.

(Z.B. Wenn du die Neuroleptika nicht nimmst, kannst du nicht in den ambulanten Vollzug! oder: Wenn du keine Arbeitsstelle hast, kannst du nicht in den ambulanten Vollzug! oder: Wenn du Alkohol (Pustkontrollen) oder Haschisch (Urinkontrollen) nimmst, wirst du im Vollzug zurückgestuft! etc.)

Liberalisierende Forderungen an die jeweilige forensische Einrichtung:

  1. Einstellung einer Ausdifferenzierung nach äußerlich-phänomenologisch zugeordneten Gruppen zugunsten einer individuellen Handhabung.
  2. Grundsätzliche Abschaffung des Stufenkonzepts der Vollzugslockerungen wegen seines erpresserischen Grundwesens. Dafür realitätsangemessenere individuelle Beurteilungen von möglicher öffentlicher Gefährlichkeit hinsichtlich der Handhabung des ambulanten Vollzugsbereichs. Dazu: Kein Mensch, man mag ihm noch so eine schwere psychische Schädigung unterstellen, ist im Generellen als gefährlich anzusehen. Wenn bei einer Person Gefährlichkeit für andere angenommen werden muß, dann ist sie durchgängig an zeitlich-begrenzte persönliche Konfliktsituationen gebunden und nicht etwa Ausdruck des Wesens der betreffenden Gesamtpersönlichkeit.
  3. Abschaffung jeglicher Zwangsbehandlungen und Behandlungserpressungen im Maßregelvollzug.
  4. Forderung nach Einrichtung einer zugänglichen psychiatrieunabhängigen Beschwerdestelle für Maßregelvollzugs-betroffene, in der auch und gerade antipsychiatrische Kräfte vertreten sein sollten.

ANHANG:

Zur Anwendung von Gewalt in der Forensischen Psychiatrie!

Vier Pfleger stürzen in den Wachsaal der Forensischen Psychiatrie der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik, überwältigen einen Patienten, der dabei passiv sich wehrt, während der nachträglich hinzueilende Stationsarzt dem überwältigten Patienten eine hochdosierte Haldolspritze intravenös verabreicht.

Ein Vorgang offener psychiatrischer Gewaltanwendung, der zweifelsohne keine Seltenheit ist. Vorallem aber: Er ist im Sinn unserer bestehenden Rechtsordnung rechtlich einwandfrei.

Auf der Grundlage einer von den psychiatrischen Ärzten im weitesten Sinn ausgelegten, beim Patienten angeblich-vorhandenen Fremd- oder Selbstgefährdung wird vom garantierten Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit ebenso, wie von der willentlichen Selbstbestimmung des Patienten abgesehen. Auf gerichtlichem Wege holen die psychiatrischen Ärzte, etwa durch Einleitung einer Gebrechlichkeitspflegschaft im Bereich der Heilbehandlung, die rechtliche Erlaubnis zur Anwendung von Gewalt zu sogenannten Behandlungszwecken ein. Es muß dabei keineswegs eine reale Selbstoder Fremdgefährdung gegeben sein, sondern der bloße Verdacht des Psychiaters, daß sie gegeben sein könnte, ist für die Anwendung dieser Maßnahme ausreichend. Darüber hinaus wird die Anwendung dieser Maßnahme in der Forensischen Psychiatrie dadurch begünstigt, daß schon die vorausgegangene strafrechtliche Verurteilung zum Maßregelvollzug potentielle Gefährlichkeit des Verurteilten, - ebenso in weitgehendster Weise dabei ausgelegt -, unterstellt.

Gewalt hat jedoch viele Gesichter, - so auch in der Forensischen Psychiatrie! Kaum weniger gravierend in der Leidenserfahrung der Psychiatriebetroffenen, eher in nachhaltiger Weise wirksam, ist die Anwendung von ausschließlich gegen die menschliche Psyche gerichtete Gewalt. Sie, als Gewalt meist zur Sprachlosigkeit verdammt, gehört zu den Routineerfahrungen der Betroffenen im Maßregelvollzug. Ihre Wirksamkeit richtet sich auf die Zerstörung von persönlicher Identität und Gefühlen bei den Betroffenen.

Was wären nun die spezifischen Charak-teristika dieser ausschließlich gegen die menschliche Psyche gerichteten Gewalt im Maßregelvollzug der Forensischen Psychiatrie?

Gewaltsam ist eine Strafrechtspraxis, die mit zeitlich-unbegrenzten Unterbringungsurteilen in den Betroffenen einen Zustand von Orientierungs- und Perspektiviosigkeit hervorruft.

Gewaltsam ist eine Vollzugspraxis innerhalb der Forensischen Psychiatrie, die die herbeigerührte Orientierungslosigkeit dazu nutzt, in den Betroffenen eine Identifizierung mit dem institutionellen Disziplinierungssystem der sogenannten Vollzugslockerungen als Orientierungsersatz zu bewirken.

Gewaltsam ist die weitgehende Substitution der für Betroffene angemessenen Realitätsauseinandersetzung durch geförderte Scheinauseinandersetzungen mit den künstlichgeschaffenen Realitätsbedingungen der forensisch-psychiatrischen Institution.

Gewaltsam ist die Mystifikation von Diszi-plinierungsmaßnahmen als therapeutischer Maßnahmen bei der Anwendung des institutionellen Disziplinierungssystems durch das akademische Personal.

Gewaltsam im Vorfeld ist ein krankheitsklassifizierendes System von psychiatrischen Diagnosen, das das jeweilige Krankheitssymptom von den in ihm zum Ausdruck kommenden psychisch-intensionalen Prozessen grundsätzlich abtrennt.

Gewaltsam ist eine daraus folgende psychiatrische Behandlungspraxis, die in einer mechanischen Herangehensweise an die menschliche Psyche versucht, auf psycho-pharmakologischen Wegen psychische Symptome wie Fremdkörper einer Infektion zu bekämpfen, anstatt sich um ein Sinnverstehen des meist unbewußten intensionalen Ausdruckgehalts der psychischen Symptome mit dem Ziel ihrer möglichen inneren Auflösung überhaupt zu bemühen.

Gewaltsam im Vorfeld ist die wie-auch-immer im Konkreten vermittelte Einflußnahme mächtiger Pharmakonzeme auf wissenschaftliche Einrichtungen, in denen über die Durchsetzungsfähigkeit bestimmter medizinisch-psychiatrischer Lehrmeinungen, - Diagnose und Behandlung betreffend -vorentschieden wird.

Gewaltsam in der Folge ist die Erniedrigung der psychiatrischen Patienten zu Objekten der Pharmakonzerne, die mittels der Patienten sowohl ihre wirtschaftlichen Absatzbedürfnisse, als auch teilweise psychophar-makologische Erprobungsversuche befriedigen.

Gewaltsam in der Konsequenz ist ferner, daß die "psychopharmakologische Betreuung" der psychiatrischen Patienten durch die Pharmakonzerne zumindest in indirekter Weise Methoden psychisch-intentionalen Sinnverstehens, wie die bereits um 1900 entwickelte Psychoanalyse, weitgehend vor die Tore der Psychiatrie verbannt.

Gewaltsam ist ferner, die häufige Gewohnheit der Psychiater und Psychologen, die durch psychisch-wirkende Institutionsgewalt und psychopharmakologischen Einfluß hervorgerufenen psychischen Störungen heim Patienten als krankheitsursächlich umzudeuten.

Gewalt ist letztlich, wenn man unter dem Vorwand Therapie zu betreiben, Menschen verwahrt und gegen sie zumindest auf die Psyche wirkende Gewalt ausübt, während man dabei Therapiebedürftige sich selbst überläßt.

M. E.


prädikat: besonders sehenswert

es gibt ja einige populäre psychiatriefilme. zur zeit ist der reißer "DAS SCHWEIGEN DER LÄMMER".

was diesen film auszeichnet:

er läßt Sympathie und einen hauch klammheimliche freude für den völlig perversen, abnormen lector hanibal aufkommen. das könnte bedeuten, daß eine neue zeit anbricht, in der die angst vor verrücktestem verhalten schwindet und wir eine chance haben, verrücktheiten als mögliche erweiterung des engen normalen horizonts begreiflich zu machen.

dazu passen würde, daß eben nicht nach den anschlagen auf lafontaine und schäuble die hochkochende Volksseele eine pogromstimmung erzeugt hat mit hektischer gesetzgebung (wie zur raf zeit),

r .t .


aufruf

Aufruf an die Betroffenen der Forensischen Psychiatrie!

Es ist geplant, auch in den zukünftigen Zeitungen der Irrenoffensive einen Teil der forensischen Psychiatrie zu widmen.

Dabei wäre es sinnvoll, wenn Ihr Artikel zur aktuellen Rechts- und Vollzugssituation oder anderem in der forensischen Psychiatrie schreiben könntet und sie zum Abdruck an die Redaktion der Irrenoffensive schicken könntet.

Innerhalb der Irrenoffensive gibt es momentan lediglich im Rahmen der allgemeinen Psychiatrieberatung eine Beratung zur forensischen Psychiatrie. Es wäre aber toll, wenn sich in der Irrenoffensive wieder ein wöchentlich tagender Arbeitskreis von Betroffenen aus der Forensik bilden könnte. Dies ist aber nur dann sinnvoll, wenn sich unter beurlaubten Freigängern und ehemaligen Insassen der forensischen Psychiatrie genügend Interessenten finden, so daß nicht wie einst der Arbeitskreis von ein bis zwei Personen getragen werden muß.

M.E.

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